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Aus der Geschichte der Berggesetzgebung IV

Die Tongräber arbeiteten in Kälte, Feuchtigkeit und bei großer körperlicher Anstrengung. Neben Rheumatismus und häufiger Lungentuberkulose herrschte eine gewisse Gewöhnung an den Alkohol. „Ein Tongräber konsumiert täglich 1/4 bis 1 Liter Schnaps“, so die lapidare Feststellung von Schneider. (1914, 24) Weder wurde über Unfälle unter Alkoholeinfluss berichtet, noch von den Gasexplosionen im Tiefbau. Man hatte die alten Glockenschächte verfüllt. Dazu wurde meist pflanzlicher Abfall benutzt. Wenn unter Tage ein solches ‚Nest‘ – im Volksmund ‚ahle Mann‘ genannt – angestochen wurde, konnte es wegen der Fäulnisgase zu Explosionen kommen. Neben der Unfallgefahr waren die Tongräber der besonders schlechten Luft in den Glockenschächten und Stollen ausgesetzt – trotz der schleppend eingeführten Bewetterungen.

„Eine Gesamtorganisation der Tongräber hat bis jetzt noch nicht stattgefunden und wird bei Lohnkämpfen auch kaum von Einfluss sein. […] Ortsgruppen des Verbandes christlicher Keram- und Steinarbeiter bestanden bis vor einigen Jahren. […] Z. Zt. bestehen noch Gruppen in Goldhausen, Großhollbach, Girod und Meudt mit zusammen 128 Mann.“ (Schneider 1914, 23) So konnten die Tongräber nur in die erst am 1.4.1910 für alle Bergleute eingeführten Knappschaftskranken- und Pensionskasse eintreten – trotz eines früheren eigenen Versuches in Mogendorf. Eine Solidarität im Großen gab es in diesem Rückzugsgebiet bei den Schlechtverdienenden nicht. Meist reichte es nur zum Zusammenhalt der Dreiergruppe.

Die Solidarität solcher Arbeitsgruppen, die Ton abbauten, war erzwungen – jeder stand gleichwertig für die Gruppe. Auch die Tonnutzer waren durch das Krugerd-System zu einem ausgleichenden Umgang miteinander gezwungen. Unter einem Krugerd-System ist das richtige Mischungsverhältnis der Tonerden zu verstehen, welches nur über die Ortsgrenzen und im Austausch mit anderen Inhabern von Tonbelehnungen möglich war. Solche zunächst wirtschaftliche Gleichgewichtslagen gerieten leicht in Schieflage, etwa wenn die Nachfrage stockte, oder man sich durch den Tonexport in der eigenen Monopolsituation bedroht fühlte.

Solidarität scheint im Glockenabbau und später im ‚Tagebau‘ aufgrund der Entlohnungsformen vorgeherrscht zu haben. Die Dreiergruppen im Tief- und Tagebau wurden nach Rohstoffmenge bezahlt, arbeiteten also de facto im Akkord. Alle Vorarbeiten, wie das Ausheben des Schachtes, sein Versteifen mit Astringen, die Bewetterung und das Anlegen eines Weges waren unbezahlte Vorarbeiten der Dreiergruppe. Der Rohstoffverein bzw. der Tonaufkäufer zahlte je nach Qualität des gelieferten Tones für zehn Tonnen 21 bis 42 Mark, für die zweite Sortierung gab es 12 bis 18 Mark. (Schneider 1914; Mayen 1985) Die Qualität der Ware wurde u.a. mit der Kauprobe überprüft, so erfuhr man gleich etwas über den Sandanteil der Tonerde.

Eine starke Welle obrigkeitlich motivierter Solidarität war festzustellen, als nach dem ersten Weltkrieg 1923/24 im Zuge der Rheinlandbesetzung der passive Widerstand angeordnet und auch praktiziert wurde. Die „angedrohte Ausweisung von Arbeitern wurde wegen des anhaltenden passiven Widerstandes auch durchgeführt. […] So wurden die Männer und ihre Familienangehörigen von den Franzosen abgeholt und zum größten Teil in ‚Richtung Weilburg‘ über die ‚Grenze‘ abgeschoben.“ „Hier hatten die deutschen Behörden ein Sammellager eingerichtet, in dem die Westerwälder Tongräber […] versorgt und dann auf viele Orte verteilt wurden. […] Die Tongräber kehrten in ihre Heimatdörfer zurück, nachdem […] Stresemann am 26. September 1923 den passiven Widerstand einstellte!“. (Mayen 1985, 43)

Die Tonförderung entwickelte sich unter Zuhilfenahme der neuesten Techniken zu einem der Hauptgeschäftszweige des Kannenbäckerlandes, was vielerorts Unmut her-vorbrachte. Man glaubte schließlich, überall auf der Welt werde nun Westerwald-Keramik produziert, da ja der Ton überall hingeliefert werde. Ein Viertel aller Tongruben der alten Bundesrepublik waren 1965 im Kannenbäckerland in Betrieb, 42% der Tonförderung wurden 1963 hier erbracht.

In der NS-Zeit wurde erwogen, im Westerwald eine Aluminiumproduktion einzurichten, allerdings erwiesen sich die Lagen mit hohem Al203-Anteil als zu gering.

Der Tonexport u.a. nach Rußland, Holland, Schweden, Belgien, Frankreich oder Italien (Baaden 1985, 142) brachte der Erschließung des Kannenbäckerlandes durch die Eisenbahn (1884) recht viel Geld. Dieses Geld wurde in die nächste Konjunktur investiert: die Herstellung hitze- und säurefester Steine. Schamottemühlen wurden errichtet und aus dem gemahlenen Keramikabfall produzierte man Hochofensteine – eine Produktinnovation. Auch der  Säurebau (salzglasierte Wannen und Röhren) für die Chemieindustrie wurde ein gutes Geschäft.

Literatur

Heuser-Hildebrandt, B. (1995) Auf den Spuren des historischen Tonbergbaus im Kannenbäckerland. Mainz. Selbstverlag

Kügler, M. (1995) Pfeifenbäckerei im Westerwald. Rheinland-Verlag, Köln

Kuntz, A. (1998) Keramik im Kannenbäckerland : Produktgeschichte im Kontext regionaler Identitätsstiftung. In: Volkskundliche Fallstudien / Burkhart Lauterbach (Hrsg.). Münchner Beiträge zur Volkskunde ; Nr. 22

Mayen, K.-D. (1985) Tongräber im Westerwald. Siershahn. Eigenverlag

Schneider, G. (1914) Die Tonindustrie des Westerwaldes – Ihre Entwicklung und ihr heutiger Stand. Verlag Jakob Schneider, Thalheilm, 86 S

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