„Der Tonbergbau in der Ukraine und seine Auswirkungen auf den europäischen Markt für keramische Rohstoffe“
So der Titel eines Beitrages aus der Keramischen Zeitschrift von 2004, der in gewisser Weise gerade heute wieder aktuell ist. Angesichts des gerade stattfindenden Krieges in der Ukraine eher unwichtig aber dennoch mit erheblichen Folgen für den Westerwald.
Die Auswirkung der aktuellen Geschehnisse treffen auch praktisch und spürbar den Westerwälder Tonbergbau, wenn gleich dieser Aspekt noch nicht die überbordende mediale Berichterstattung erreicht hat. Spürbar für alle sind steigende Energiekosten (Beispiel: Westerwälder Zeitung vom 12.03.2022: Staudter Firma stellt Insolvenzantrag: Gaspreise bringen Osmose ins Straucheln), täglich an jeder Tankstelle zu beobachten.
Oder: nach einer Preisexplosion von 400 Prozent in wenigen Tagen stoppt die Metallbörse LME den Handel mit Nickel auf unbestimmte Zeit. Der Ukraine-Krieg sorgt für Ausnahmezustände am Rohstoffmarkt. Laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe ist Russland nach Indonesien und den Philippinen der weltweit größte Exporteur für Nickel. Das Unternehmen, das weltweit am meisten exportiert, ist die russische Firma Nornickel. Bereits vor der russischen Invasion herrschten Engpässe, am Wochenanfang kamen zahlreiche Spekulationen auf einen Ausfall russischer Lieferungen hinzu (ntv).
Die Auswirkungen dieses Krieges gehen aber jetzt schon weit über die Ukraine hinaus. In der Ostukraine, der Region rund um Donezk, werden plastische Tone für die Fliesenindustrie abgebaut. Der oben genannte Artikel beschreibt die Rohstoffsituation und Entwicklung des Donbass, dem größten Tonrevier weltweit.
link Tonbergbau in der Ukraine pdf
Bereits 2014 die Abspaltung der Separatistengebiete Donetsk und Lugansk führte zu erheblicher Unruhe bei den Verbrauchern ukrainischer Tone. Lieferausfälle wurden befürchtet (verbunden mit steigender Nachfrage nach Westerwälder Tonen damals), denn die großen Tonlagerstätten liegen nur wenige Kilometer westlich der Demarkationslinie.
Bis zu dieser Zeit wurden die Tone über den Hafen Mariupol verschifft. Diese Möglichkeit schied durch die damaligen Auseinandersetzungen aus. Da aber das ukrainische Schienennetz auch kleine Ortschaften miteinander verbindet, gelang es den Tonexport über andere Häfen an der Schwarzmeerküste umzuleiten. Die Situation hatte sich seitdem wieder stabilisiert und die exportierten Mengen stiegen wieder auf ca. 5 Millionen Tonnen pro Jahr an.
Die Fliesenindustrie in Europa versorgt sich jährlich mit Millionen von Tonnen aus der Ukraine. Länder wie Italien, Spanien und Polen sind massiv vom aktuellen Lieferstopp betroffen. Ebenso zahlreiche Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens wie Ägypten, Tunesien, Marokko oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Die Fliesenproduktion dieser Länder hängt von der Verfügbarkeit ukrainischer Tone ab. Wie groß die zur Zeit noch vorhandenen Tonvorräte sind, ist nicht bekannt. Die Situation ist aber ähnlich wie derzeit in Italien. Die italienische Fliesenindustrie bezieht jährlich knapp 1 Million Tonnen aus Deutschland und ca. 2 Millionen Tonnen Ton aus der Ukraine. Die Reserven an ukrainischem Tonen, die im Hafen in Ravenna / Italien liegen, reichen noch für circa zwei Monate. Danach werden pro Jahr 1,5 – 2,0 Millionen Tonnen Rohstoffe für die Fliesenindustrie in Italien fehlen. Das Besondere an der Situation ist, dass die ukrainischen Tone die Basis für hochwertige Feinsteinzeugfliesen (Gres Porcellanato) darstellen u.a. wegen ihrem geringen Eisengehalt und hoher Trockenbiegefestigkeit. Besonders getroffen ist die Produktion von Fußbodenfliesen in Spanien. Diese ist erst mit dem „Erscheinen“ ukrainischer Tone auf dem Markt entstanden. Die eigenen, spanischen Tone sind praktisch „nur“ für die Herstellung von Wandfliesen geeignet.
Bleibt die Versorgung mit ukrainischen Tonen aus, bedeutet dies auch das „Aus“ für die Herstellung großer (mehr als 1 x 3 m) und dünner (3 mm) Fliesen, einige davon bekannt unter dem Namen „Laminam“. Diese Großfliesen zeichnen sich durch ein besonders niedriges m²-Gewicht von 7 kg und weniger aus und sind dabei sehr flexibel. Alle Werke in Italien, Spanien, der Türkei und anderswo, die diese Sorte von Fliesen produzieren, stehen von dem Ende. Mit anderen Worten, diese Produkte werden aus dem Angebot verschwinden.
Angesichts dieser Entwicklung sind die Anfragen nach Ton bei den Westerwälder Tonbergbaufirmen „explodiert“. Jedoch sind die ausfallenden Mengen ukrainischer Tone qualitativ nicht durch Westerwälder Tone zu ersetzen. Die Produktionspalette der Hersteller wird sich anpassen müssen. Die Gewinnung im Westerwald ist auf Grund der vorhandenen Vorräte und Ausrüstung durchaus steigerungsfähig, wenn auch nicht kurzfristig. Zudem sind auch die Westerwälder Firmen indirekt von bereits bekannten Lieferengpässen (Elektronik, Verpackungsmaterial, Holz u.a.) und auch den stark gestiegenen Kraftstoffpreisen betroffen. Weitere Probleme gibt es beim Personal. Weitaus schwerwiegender bei einer Steigerung der Tonproduktion ist die anschließende Logistik, vor allem beim Bahnversand. Hier gibt es, unabhängig vom Krieg in der Ukraine, seit Längerem Probleme. Ein „Ausgleich“ durch LKW-Lieferungen nach Italien ist nicht möglich.
In der Fliesenindustrie, besonders in Italien und Spanien, stehen tausende Jobs auf dem Spiel. Denn: Ohne Rohstoff – keine Produktion.
Fast zwangsläufig ist dann auch mit steigenden Preisen für Fliesen zu rechnen.
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