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„Irdene Dinge“ – Warum Westerwälder Ton? Plastizität ist der Schlüssel

Unter dem Motto „Blick in unsere Landschaft“ lud das Keramikmuseum Westerwald in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Westerwald-Ton am 8. September zu einer interessanten Veranstaltung beginnend im Höhr-Grenzhausen ein. Bis zum 31. Oktober 2021 sind Werke der norwegischen Künstlerin Marit Tingleff in der Ausstellung „Marit Tingleff – Irdene Dinge“ zu sehen. Einzelheiten und Informationen zu Marit Tingleff sind auf der Homepage des Keramikmuseums (www.keramikmuseum.de/kalender/2021/6/12/marittingleff) zu finden. Marit Tingleff gehört zu den renommiertesten Keramikkünstlern Norwegens. Bis 2016 war sie Professorin für Keramik an der Nationalen Akademie der Künste (KhiO) in Oslo.

Marit Tingleff arbeitet vorzugsweise mit lokalen norwegischen Rohstoffen aus ihrer Region. Ihre größten Arbeiten waren jedoch nur mit Westerwälder Ton umsetzbar. Dazu besuchte sie die Lagerstätten der Firma Goerg & Schneider und suchte sich persönlich das Material aus. Diese Arbeiten werden in der Ausstellung gezeigt. Die Leiterin der Keramikmuseums, Dr. Nele van Wieringen erläuterte den interessierten Zuhörern den persönlichen und künstlerischen Hintergrund der Ausstellung.


Großformatiges Werk von M. Tngleff. Links: Dr. Nele van Wieringen

Um eine Antwort auf die Frage, warum solche Objekte nicht mit norwegischen Tonen bzw. nur mit Westerwälder Tonen realisierbar sind, zu finden, trafen sich die Teilnehmer der Veranstaltung nachmittags auf der Tongrube Sedan bei Girod der Stephan Schmidt Gruppe.

Keine Voraussetzungen für Ton in Norwegen

Über einen Tonbergbau in Norwegen ist nichts bekannt. Dies liegt an der Geologie Norwegens als Teil des sogenannten baltischen Schildes (auch als fennoskandischer Schild bezeichnet). Dieser ist aus Kristallingesteinen des Präkambriums aufgebaut. Das vor etwa einer Milliarde Jahren aufgefaltete Gebirge ist seit seiner Entstehung stets ein Festland gewesen und ist bei moderater Hebung gleichzeitig zu einem flachen Rumpfgebirge erodiert. Der baltische Schild war im Verlauf der letzten Eiszeiten von einem kilometerdicken Eispanzer bedeckt. Seit dem Verschwinden des Eispanzers vor etwa 10.000 Jahren hebt sich der Schild wegen der verminderten Drucklast verstärkt (postglaziale Landhebung). Verwitterung und Erosion führten daher nur zu kleinen und lokalen Ablagerungen von tonigem Material. Dies ist, ähnlich den weitverbreiteten Ziegelton oder -lehmvorkommen mangels ausreichender Plastizität keramisch nur eingeschränkt verwendbar (Ziegel, Klinker, Irdenware).

Anders die Situation im Westerwald. Hier führte die tiefgründige Verwitterung der Oberfläche des Rheinischen Schiefergebirges mit seinen Schiefern, Sandsteinen und Grauwacken zu einer großflächigen Umwandlung der gesteinsbildenden Minerale (Feldspat, Glimmer) zu Tonmineralen wie Illit, Kaolinit, Wechsellagerungsmineralen usw. zu quasi idealen Bedingungen für die Entstehungen von Tonlagerstätten (die sogenannten Mesozoisch-Tertiäre Verwitterungsdecke MTV). Durch Erosion, Verwitterung und Transport entstanden dann im Tertiär die Westerwälder Tonlagerstätten, wie wir heute kennen.

Einen typischen Tontagebau stellte den Teilnehmern dann Stephan Schmidt, geschäftsführender Gesellschafter der Stephan Schmidt KG vor.

Am Bespiel der im Tagebau aufgeschlossenen Abbauwand als Teil der ca. 50 m mächtigen Tonlagerstätte von erläuterte Stephan Schmidt die Entstehungsgeschichte der Westerwälder Tone, deren Gewinnung und Verarbeitung. Eingehend erläuterte er auch die wirtschaftlichen und formalen Rahmenbedingungen einschließlich der gängigen Rekultivierung.

Der heterogene Aufbau der Lagerstätte ist deutlich an den unterschiedlich gefärbten Tonlinsen zu erkennen.

Die verschiedenen Farben deuten auf die wechselnden Liefergebiete der Tone und wechselnde mineralogische Zusammensetzung hin. Und sind gleichzeitig Grund für die hohe Anzahl an verschiedenen Tonsorten, die im Westerwald gewonnen werden. Abhängig von Sand- bzw. Quarzanteil sind die Tone auf Grund der enthaltenen Tonminerale gut plastisch und keramische gut zu verarbeiten.

Vor dem selektiven Abbau der Tone mit einem Hydraulik-Tieflöffelbagger wird durch Bohrungen (viel früher) und sogenannten Schlitzproben (vor der Gewinnung) durch das Labor die Tonsorte bestimmt. Dabei werden u.a. Brennfarbe, Glühverlust, Schwindung bestimmt. Die einzelnen Sorten werden getrennt gefördert, auf gleiche Größe geschnitzelt und in überdachten Boxen eingelagert.

Aus den einzelnen Grubentonen werden dann, nach „Rezept“, durch Mischen in der für die jeweilige Qualität benötigen Mengen, die verkaufsfähigen Qualitäten produziert. Dazu werden die Einzelkomponenten (Grubentone) über bewegliche Förder- und Abwurfbänder in Lagerboxen eingestreut. Dabei werden die Tone kontinuierlich beprobt und wiederum untersucht. Die Grube Sedan und das dazugehörige Mischwerk fördert und produziert ca. 120 Tsd. Tonnen jährlich.

Silos für Mahton im Hintergrund.

Bei Bedarf werden Tone aus dem Mischwerk in der Mahlanlage Sedan getrocknet und gemahlen und in Silos vor dem Abtransport zwischengelagert. Solche Mahltone sind die Grundlage für keramische Fertigmassen, die, wiederangefeuchtet und ggfls. mit zusätzlichen Komponenten wie Schamotte oder Farbkörpern zu verarbeitbaren „Hubeln“ werden. Je nach Anwendung lässt sich die Verarbeitbarkeit wie etwa die Plastizität anpassen.

Keramikmuseum Westerwald, Plastizität, Tongrube Sedan

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